Read

Folterstrafe

FG_Volta_01

»[…] es wird nirgends der Anschein erweckt, als solle etwas sein, — es ist wirklich etwas. Jede billige Scheindekoration ist vermieden, es entwickelt sich alles selbstverständlich aus den Konstruktionselementen. […]«1 Seit dem Fall der Mauer hat die BVG unzählige U-Bahnhöfe »denkmalgerecht saniert«. Andere würden sagen: zerstört. Was aufgrund der unterirdischen Lage den Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs überstanden hatte, wird unserer Tage abgeschlagen, übermalt, entsorgt. Unlängst traf es den Bahnhof Voltastraße, bei dessen Überarbeitung auch zwei erstaunliche Inschriften entdeckt und gleich wieder vernichtet wurden.

Abb. 2: Darstellung des AEG-Geländes aus einer Anzeige von 1916, im Vordergrund liegt die Voltastraße.

Abb. 2: Darstellung des AEG-Geländes aus einer Anzeige von 1916, im Vordergrund liegt die Voltastraße.

Der U-Bahnhof Voltastraße liegt an der heutigen Linie U8 unter der Brunnenstraße und damit direkt vor dem ehemaligen Firmengelände der AEG (Abb. 2). Eröffnet wurde er im April 1930, doch hatte er zu dieser Zeit bereits eine beträchtliche Vorgeschichte, denn die Planungen für die »GN-Bahn« zwischen Gesundbrunnen und Neukölln begannen bereits im Jahr 1907. Schon um 1900 herum gab es die Idee, die Arbeiter- und Industrievorstädte Neukölln und Wedding mit dem Zentrum zu verbinden. In Konkurrenz zur Nürnberger Continentalen Gesellschaft, die zu diesem Zweck eine Schwebebahn vorschlug, reichte die damals noch als Berliner Electricitätswerke firmierende AEG 1907 einen alternativen Plan ein, der eine Ausführung als kombinierte Hoch- und Untergrundbahn vorsah. Im März 1912 wurden schließlich Verträge geschlossen, die eine Ausführung der Strecke als reine U-Bahn vorsahen und die AEG-Schnellbahn-AG gegründet.

Abb. 3: U-Bahnhof Voltastraße im Bau, aus: AEG-Mitteilungen, September 1918.

Abb. 3: U-Bahnhof Voltastraße im Bau, aus: AEG-Mitteilungen, September 1918.

Peter Behrens und das AEG-Projekt
Mit dem Bau wurde im Mai 1914 begonnen, nur wenige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nichtsdestotrotz wurden während des Krieges einige Teilstücke realisiert, darunter auch die Bahnhöfe Bernauer Straße und Voltastraße, die bis Dezember 1916 weitgehend fertigestellt waren (Abb. 3). Es scheint bis heute nicht eindeutig belegt, aber man geht davon aus, dass Peter Behrens (1868–1940) für den Entwurf dieser beiden Bahnhöfe verantwortlich zeichnete, der seit 1907 künstlerischer Berater der AEG war. Wie man aus Abbildung 4 ersieht, ergab sich die ursprüngliche Raumwirkung durch die in kurzen Abständen eingelassenen Reklameflächen und die sichtbaren Stützbalken der Deckenkonstruktion. Ein weiteres kennzeichnendes Element der beiden Stationen sind Granitsäulen im Bereich der Bahnsteige, schwarze im Bahnhof Bernauer Straße, graue im Bahnhof Voltastraße.

Abb. 4: U-Bahnhof Voltastraße, aus: BEW-Mitteilungen, November 1915.

Abb. 4: U-Bahnhof Voltastraße, aus: BEW-Mitteilungen, November 1915.

Im Verlauf des Krieges kamen die Arbeiten an der GN-Bahn zum Erliegen. 1919 musste die AEG-Schnellbahn-AG mitteilen, dass sie sich nicht in der Lage sähe, das Projekt fortzuführen. Im darauffolgenden Jahr, 1920, veränderten sich durch das Groß-Berlin-Gesetz alle Prämissen für die bis dahin überwiegend privatwirtschaftlichen Projekte des Nahverkehrs: zum einen verdoppelte sich die Einwohnerzahl Berlins auf 3,8 Millionen, während sich die Fläche der Stadt verdreizehnfachte; zum anderen definierte der erste frei und gleich gewählte Magistrat den Nahverkehr als eine oberste Priorität und betrieb aktiv die Kommunalisierung sämtlicher Verkehrsbetriebe. Über den Erwerb von Mehrheitsanteilen führte diese Politik schließlich 1928 in die Gründung der Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVAG), in der auch die GN-Linie der 1923 liquidierten AEG-Schnellbahn-AG aufging.

Abb. 5: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2007, Foto: Phaeton1, Wikipedia.

Abb. 5: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2007, Foto: Phaeton1, Wikipedia.

Alfred Grenander und die Baukeramik der 1920er Jahre
Die Arbeiten an der heutigen U8 wurden 1926 wieder aufgenommen, und zwar zunächst unter der Regie der Städtischen Nordsüdbahn AG, die ihrerseits ebenfalls 1928 in der BVAG aufging. Abgesehen vom Bahnhof Moritzplatz, für den Peter Behrens beauftragt wurde, übernahm architektonisch Alfred Grenander (1863–1931) die Verantwortung, der für die Gestaltung der Bahnhöfe ein reduziertes, modernistisches Konzept entwickelte, in dessen Geiste auch die beiden fertigen Bahnhöfe Bernauer und Voltastraße überarbeitet wurden. Zentral war die Ausgestaltung der Bahnhöfe in Kennfarben. Dazu setzte Grenander auf eine effektvolle Lichtführung und farbige Wandfliesen. Deren Verwendung hatte im U-Bahn-Bau bereits eine lange Tradition, allerdings erreichte die Produktion der Hersteller in jenen Jahren ihre größte Blüte.

Der Architekturhistoriker Christoph Brachmann, der sich Anfang der 1990er Jahre maßgeblich dafür eingesetzt hat, dass die Bahnhöfe der Linie 8 unter Denkmalschutz gestellt wurden, beschreibt in seinem Standardwerk zum Thema die hervorragende Qualität der Fliesen und hebt unter anderen die von der Cölln-Meißener Ofenfabrik Saxonia GmbH für den Bahnhof Voltastraße hergestellten heraus: »Die durchschnittlich etwa 2 cm dicken Fliesen wurden normalerweise mit Pressen geformt. Davon ausgenommen sind spezielle Einzelformen (z. B. Rundungen und Gesimse) sowie die Keramikplatten der drei Bahnhöfe mit den aufwendigsten Glasureffekten (›Schönleinstraße‹, ›Moritzplatz‹, ›Voltastraße‹): Wie die jeweils auf den Rückseiten der Platten festzustellende geriffelte Struktur zeigt — […] — sind sie gänzlich von Hand geformt. […] Eine weitere Steigerung der Individualität jeder einzelnen Fliese ist bei einer kleinen Gruppe von drei Bahnhöfen (Schönleinstraße, Moritzplatz, Voltastraße) gegeben: Spezielle Glasurmischungen und -techniken erzeugen hier eindrucksvolle Farbeffekte, so daß jede Fliese in der Tat zur ›Preziose‹ gerät«.2

Abgesehen von der Beleuchtung war der Bahnhof Voltastraße bis 2011 weitgehend im Grenander’schen Zustand erhalten, wie Aufnahmen aus den frühen 2000er Jahren belegen (Abb. 5).

Abb. 6: U-Bahnhof Voltastraße, während der Sanierung im Juli 2012. Foto: IngolfBLN, Flickr.

Abb. 6: Neue Fliesen am U-Bahnhof Voltastraße, während der Sanierung im Juli 2012. Foto: IngolfBLN, Flickr.

Der Neuausbau 2011 bis 2014
Doch dann kam die »denkmalgerechte Sanierung« der BVG (Abb. 6). Im Ergebnis wurden fast alle originalen Fliesen abgeschlagen und durch neu gefertigte ersetzt, die nicht einmal im Farbton den alten nahekommen. Abbildung 7 verdeutlicht gut die Abweichung zwischen alt und neu: die Fliesen aus Grenanders Zeit changieren zwischen zartem Gelb und Türkis und im Grauwert maximal im Bereich von 5 bis 10 Prozent ; dagegen weisen die neuen Fliesen, die laut BVG von der spanischen Manufaktur Becher handgefertigt wurden3, eine deutliche Varianz im Grauwert bis zu 20 Prozent auf, die Farbigkeit ist zu Grün-Blau verschoben und die Oberflächen zeigen eine ausgeprägte Schlierenstruktur. Auf meine Anfrage hin begründete die BVG das großflächige Abschlagen der Originalfliesen wie folgt: »Die Fliesen mussten abgeschlagen werden, um die undichten Stellen der Tunnelwand zu sanieren. Da die Fliesen auf eine ca. 10 cm dicke Gipsschicht aufgebracht wurden, sind an vielen Stellen die Fliesen durch die eindringende Feuchtigkeit und die Reaktion des Baumaterials Gips mit Wasser von alleine abgefallen und auf dem Boden zerschlagen. Die Fliesen konnten nicht zerstörungsfrei von der Wand genommen werden und wieder angebracht werden. Wäre das wie in den Bahnhöfen Kottbusser Tor und Rosenthaler Platz möglich gewesen, so wäre diese Lösung ebenso im Bahnhof Voltastraße angewendet worden.«4

Der pauschalen und nicht weiter begründeten Behauptung, die Fliesen wären nicht zerstörungsfrei abnehmbar gewesen, widerspricht die Diplomrestauratorin Larissa Piepo, die mit ihrem Unternehmen beispielsweise für die Restaurierung der Böden im Neuen Museum verantwortlich zeichnet. Ihrer Auskunft nach begünstige ein Gipsmörtel gerade das fachgerechte, schonende Abnehmen historischer Fliesen mit dem Ziel, sie nach der Sanierung der Tunnelwände zu replatzieren. Da die Fliesen nicht nur im betriebstechnisch sensiblen Hintergleisbereich, sondern ebenfalls in den Eingangsbereichen vollflächig abgeschlagen wurden, finden sich nach der Sanierung lediglich auf zwei kleinen Gebäuden auf dem Bahnsteig noch wenige Quadratmeter der Originale (Abb. 7 und 16).

Abb. 7: U-Bahnhof Voltastraße, während der Sanierung im Juli 2012. Originale Fliesen im Vordergrund, neue im Hintergrund. Foto: IngolfBLN, Flickr.

Abb. 7: U-Bahnhof Voltastraße, während der Sanierung im Juli 2012. Originale Fliesen im Vordergrund, neue im Hintergrund. Foto: IngolfBLN, Flickr.

Der aktuelle Bahnhof ist im Wesentlichen ein Neuausbau (Abb. 8). Als Elemente der vormaligen Fassungen bleiben aus der Bauphase von Peter Behrens die Granitsäulen und die wieder freigelegte Deckenträgerkonstruktion, aus der Bauphase Alfred Grenanders besagte Häuschen und die Stationsschilder mit weißer Schrift auf schwarzem Grund. Zusammengenommen dürften das keine 20 Prozent der originalen Substanz sein. Der Bahnhof findet sich in der Denkmalliste des Landes Berlin unter der Objektnummer 09030362. De facto kann man diesen Eintrag jetzt streichen, wie im übrigen auch die Einträge vieler weiterer Stationen der U8. Christoph Brachmann hat bereits 2003 in seinem Buch den Raubbau an den Baudenkmalen beklagt und für die Stationen Hermannplatz, Alexanderplatz, Gesundbrunnen und Bernauer Straße dokumentiert, dass die Baukeramik weitestgehend abgeschlagen und ersetzt wurde. Jan Gympel hat in seinem Weblog die teilweise Zerstörung von Kottbusser Tor und die vollständige von Jannowitzbrücke und Voltastraße festgehalten. Boddinstraße und Leinestraße müssen inzwischen ebenfalls hinzugerechnet werden, am Rosenthaler Platz existiert heute eine Mischung aus neu und original.

Abb. 8: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand Februar 2015.

Abb. 8: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand Februar 2015.

Der Fraktur-Antiqua-Streit am U-Bahnhof Voltastraße
Doch wie komme ich, als Schriftgestalter, zu diesem Thema? Ich bin im Sommer 2013 im Bahnhof Voltastraße auf zwei alte, gemalte Stationsinschriften aufmerksam geworden. Interessanterweise zeigte das eine Schild eine Ausführung in serifenloser, das andere jedoch eine Ausführung in gebrochener Schrift (Abb. 9–11). Zum Zeitpunkt meiner Entdeckung erschien gerade Verena Gerlachs Buch »Karbid, Berlin – Von Schriftmalerei zu Schriftgestaltung«, für das ich die Geschichte der Schriftmalerei in Deutschland und Berlin genauer untersucht hatte.

Abb. 9: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2013.

Abb. 9: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2013.

Was mich an dieser Kombination besonders begeisterte war, dass sie quasi eine visuelle Zusammenfassung meiner Recherche bot: die beiden bestimmenden Schriftformen im öffentlichen Raum in Deutschland waren die serifenlosen und die gebrochenen Schriften gewesen. Während die ersteren bereits seit 1850 prominente Plätze in Berlin eroberten und um 1880 zum Standard im öffentlichen Raum geworden waren, wuchs die Popularität der letzteren nach 1900 immens, gefördert sowohl von hervorragenden Neuschöpfungen dieser Zeit als auch von einem Diskurs, der als Fraktur-Antiqua-Streit in die deutsche Schriftgeschichte einging.

Abb. 10: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2013. Gemalte, serifenlose Inschrift.

Abb. 10: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2013. Gemalte, serifenlose Inschrift.

Kurz gesagt ging es dabei um die mit nahezu religiösem Eifer betriebene Debatte, ob Deutschland mit »lateinischen« oder gebrochenen Schriften schreiben sollte. Die beiden großen Opponenten dieses Streits waren die Federfabrikanten Friedrich Sönnecken aus Bonn (1848–1919, Antiqua) und Rudolf Blanckertz aus Berlin (1862–1935, Fraktur), die sich in den jeweiligen Lagern finanziell wie publizistisch für das Modell ihrer Wahl ins Zeug legten.

Abb. 11: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2013. Gemalte Inschrift, gebrochene Schrift.

Abb. 11: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2013. Gemalte Inschrift, gebrochene Schrift.

Der Streit schaffte es auf zwei Wegen bis zum Reichstag. Zum einen 1911 in Form eines Antrags an den Petitionsausschuss, der letztlich entschied, nicht zu entscheiden. Und zum anderen 1915/16 in die Inschrift des Reichstags, »Dem deutschen Volke«. Diese wurde — in starker Anlehnung an Peter Behrens’ Hybridtype »Behrensschrift«, einer Mischung aus Antiqua, gebrochener Schrift und Unzialschrift — von diesem und Anna Simons gestaltet, womit sie eine Entscheidung des Streits zugunsten der einen oder der anderen Seite erneut vermieden.

Abb. 12: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand März 2011. Foto: Jan Borchers.

Abb. 12: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand März 2011. Foto: Jan Borchers.

In meinen weiteren Recherchen stieß ich in Bahnforen auf Bilder, die die Voltastraßen-Inschriften im Kontext der ersten Fassung der Station zeigen (Abb. 12) — und eben auf die Information, dass Peter Behrens in just jenen Jahren an ihr arbeitete. Bislang fand ich nichts Konkretes über den Hintergrund der Inschriften. Es ist jedoch offensichtlich, dass diese »Versuchsanordnung« im Kontext des Fraktur-Antiqua-Streits ihren Sinn ergibt.

Abb. 13: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand April 2011. Foto: Harald Tschirner, bahninfo-forum.

Abb. 13: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand April 2011. Foto: Harald Tschirner, bahninfo-forum.

Wie gewonnen, so zerronnen
Was ich wenig später, im April 2014, feststellen musste, war, dass die originalen Inschriften mittlerweile durch Übermalung ausgelöscht wurden. Wie Bilder aus Bahnforen belegen, wurden die originalen Inschriften zunächst während der Bauphase, in der sie beim Abschlagen der Fliesen zutage gekommen sein müssen, abgedeckt und geschützt (Abb. 13). Man scheint bei der BVG also zunächst erwogen zu haben, sie zu erhalten. Dafür spricht auch, dass man beim Anlegen der neuen Fliesen die Stellen offen gehalten hat (Abb. 10 und 11).

Abb. 14: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand April 2014.

Abb. 14: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand April 2014.

Letztlich entschied man sich jedoch dafür, die Schriftproben zu überstreichen (Abb. 14) und zwischenzeitlich eines der beiden Schilder nachzuahmen (Abb. 15). Die BVG erteilte mir dazu folgende Auskunft: »Die Freilegung der bei den Sanierungsmaßnahmen freigelegten Schriften war eine Zusatzleistung der BVG und wurde nicht von der Denkmalbehörde vorgegeben.«5 , und in einer späteren Mail: »Die Schriften wurden saniert, da die Flächen auf denen die Schriften aufgemalt waren [der Gipsverputz aus der Behrenszeit, Anm. d. Verf.] ebenfalls saniert werden mussten. Es ist vorgesehen, Glasplatten und einen Hinweis auf die Schriftproben über die Schriftfelder zu montieren, analog den Bahnhöfen Südstern oder Platz der Luftbrücke.«6

Die Nachahmung, deren formale Mängel jedem Grafiker direkt ins Auge stechen müssen, geschah laut BVG mit Hilfe einer Schablone, die zu Beginn der Sanierungsarbeiten vom Objekt abgenommen wurde. Zum Hinzuziehen externen fachlichen Rates, etwa eines Schriftmalermeisters aus einer Berufsfachschule oder einer Lehrperson einer Kunst- oder Designhochschule sah man bei der BVG keine Veranlassung, dort empfindet man die Replik offenkundig als originalgetreu und ebenbürtig.

Für mich bleibt an dieser Stelle unverständlich, warum die Flächen der Schilder die längste Zeit unbehandelt blieben, wenn der Untergrund der Malereien ebenso sanierungsbedürftig gewesen sein soll wie der Rest der Tunnelwände. Wäre es in diesem Falle nicht einleuchtender gewesen, die Flächen in einem Zuge mit allen anderen zu sanieren? Mein Verdacht ist vielmehr, dass eine Restaurierung der originalen Inschriften schlicht eingespart wurde, was aufgrund der geringen Mehrkosten wiederum nur schwer nachzuvollziehen wäre: die Restauratorin Larissa Piepo schätzte mir gegenüber den Preis für eine konservatorische Maßnahme zum Erhalt der beiden Schilder auf gerade einmal etwa 1000 Euro.

Leider aber fügt sich der Umgang mit den Schildern nahtlos in das größere Bild. Wie sollen Verantwortliche, die den Farbton von Fliesen nicht bestimmen können gut gezeichnete Schrift von hilfloser Stümperei unterscheiden können? Es ist nicht frei von Ironie, dass die BVG durch das Anbringen einer Glasplatte vor diesem Artefakt im Begriff ist, ihrer eigenen Inkompetenz in Gestaltungsfragen ein Denkmal zu setzen.

Abb. 15: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2014.

Abb. 15: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand November 2014.

Unhistorischer Neohistorismus
Die Gestaltungshaltung der BVG liegt seit den 1990er Jahren auf dem Kurs, in der Breite der Sanierungen historisierende Implantate einzubringen. Zeitgenössisch neu wird dagegen nur selten gestaltet. So werden seit geraumer Zeit überschüssige (Werbe-) Flächen systematisch mit Vorkriegsansichten Berlins bespielt. Auch im Fall der Voltastraße entschied man sich dazu, die letzten verbliebenen Grenander-Fliesen um zehnfach vergrößerte Postkartenmotive der Umgebung zu ergänzen (Abb. 16).

Abb. 16: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand April 2014.

Abb. 16: U-Bahnhof Voltastraße, Zustand April 2014.

Absurd ist an diesem Vorgehen nicht nur, dass echte Geschichte umfassend zerstört wird, um anschließend mit Surrogaten Geschichtsbewusstsein zu behaupten. Absurd ist darüber hinaus, dass diese Gestaltungshaltung selbst bei völligen Neubauten wie der Station Mendelssohn-Bartholdy-Park angewendet wurde (Abb. 17).

Abb. 17: U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park, südlicher Eingang, Aufnahme 2015.

Abb. 17: U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park, südlicher Eingang, Aufnahme 2015.

Sind die noch zu retten?
Am 16. März 2015 erschien auf urbanophil.net unter dem Titel »Wir müssen darüber reden« ein Aufruf von Verena Pfeiffer-Kloss an BVG und Landesdenkmalamt, den Umgang mit den Bahnhöfen der Nachkriegszeit dringend zu überdenken und deren Gestaltung und Bausubstanz unter Schutz zu stellen. Mit diesem Text möchte ich darauf hinweisen, dass die Eintragung von BVG-Anlagen in die Landesdenkmalliste keinerlei Konsequenzen in der realen Welt hat.

Zum Inhalt dieses Textes habe ich ebenfalls das Landesdenkmalamt sowie die Untere Denkmalschutzbehörde des Bezirks Mitte angeschrieben. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lagen jedoch keine Antworten vor. Die BVG unterstreicht ihrerseits, dass alle ihre Aktivitäten, am Bahnhof Voltastraße wie andernorts, mit dem Landesdenkmalamt abgestimmt und von den Unteren Denkmalschutzbehörden genehmigt sind. In Bezug zum Bahnhof Voltastraße betont die BVG: »Die Sanierung des Bahnhofs erfolgte unter strengen Auflagen des Denkmalschutzes und wurde bisher von vielen Fahrgästen sowie den Vertretern der Denkmalpflege als sehr positiv gelobt.«7

Es bleibt zu hoffen, dass die Berliner Öffentlichkeit endlich zur Kenntnis nimmt, welche Verluste bereits zu beklagen sind und was die Fortführung dieser Politik noch für Verluste verursachen wird. Das Gesamtkunstwerk U8 ist bereits zerstört, viele der neuen Bahnhöfe für jeden gestaltungs- und geschichtsaffinen Menschen eine Folter. Doch Moritzplatz, Weinmeisterstraße und Schönleinstraße wären aktuell durchaus noch zu retten. Werden wir sie retten?

Nachweise, Quellen & Literatur

1) Otto Riedrich in einem Beitrag zur GN-Bahn für die Keramische Rundschau von 1928, zitiert nach Brachmann 2003, S. 72. — 2) Brachmann 2003, S. 86–87. — 3, 4, 6) E-Mail der Pressestelle der BVG an den Verfasser, 28. April 2015. — 5, 7) E-Mail der Pressestelle der BVG an den Verfasser, 26. März 2015 — Abb. 1) GIF-Animation unter Verwendung eines Fotos von Harald Tschirner.

BEW-Mitteilungen, Jahrgang 11, No. 11, November 1915, S. 164–166.
BEW-Mitteilungen, Jahrgang 12, No. 12, Dezember 1916, S. 189–190.
AEG-Mitteilungen, Jahrgang 14, No. 9, September 1918, S. [97]–99.

Christoph Brachmann: Licht und Farbe im Berliner Untergrund – U-Bahnhöfe der klassischen Moderne. Berlin: Gebr. Mann Verlag, 2003, ISBN 3-7861-2477-9.

Christop Brachmann, Thomas Steigenberger (Hg.): Ein Schwede in Berlin — Der Architekt und Designer Alfred Grenander und die Berliner Architektur (1890–1914). Affalterbach: Didymos-Verlag, 2010, ISBN 978-3-939020-81-3.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert